Bistumsprojekt untersucht, was die Gemeinschaft einer Pfarrei prägt

Bistumsprojekt untersucht, was die Gemeinschaft einer Pfarrei prägt

Gepostet von am Jan 5, 2015 in Allgemein | 3 Kommentare

Bei Identität geht es um innere Werte

„Es sind die Gebäude“, sagen die einen. „Es sind die Gottesdienste“ sagen die anderen. „Es ist der Glaube“, sagen die dritten.

Was ist es, was die Gemeinschaft von Christen einer Pfarrei ausmacht? In bischöflichem Auftrag hat sich Pastoralreferent Dieter Praas auf Spurensuche in drei GdG begeben, die jeweils zu einer Pfarrei fusioniert worden sind. „Erzählte Identität“ heißt das Projekt. „Die Identität wohnt in den Erzählungen der Menschen“, formuliert Dieter Praas den Grundgedanken des Projektes. Das Teilziel ist schon erreicht, obschon die Untersuchungen, die in der Promotion von Dieter Praas an der Fakultät Theologie und Religionswissenschaft der Radboud Universität Nijmegen ihren wissenschaftlichen Niederschlag finden werden, noch nicht vollständig abgeschlossen sind.

Die Erkenntnis, formuliert von Projektteilnehmern, lautet: „Ich gehe bereichert nach Hause, ich bereue es nicht, teilgenommen zu haben. Wir haben gespürt, was uns verbindet“, und das, so Praas, habe viel Energie, Kraft und Optimismus bewirkt. „Es wird interessant sein, was in den zweiten Interviews davon noch spürbar ist“, zeigt sich der Doktorand neugierig. Aufmerksam wahrgenommen werden die Aussagen im Generalvikariat des Bistums Aachen. Martin Pott, Referent für Pastoralentwicklung, erläutert die Motivation, diese wissenschaftliche Untersuchung angesichts der sich bereits 2008 abzeichnenden Zusammenschlüsse der Pfarreien in Auftrag zu geben. „Ziel ist gewesen zu erfassen, welche Wirkung die Fusionen im Erleben der Menschen haben.“

Wie haben sich Gemeinden im Zuge der Fusion verändert?

Ein Aspekt: Die räumliche Ausdehnung verhält sich umgekehrt proportional zur seelsorgerischen Ausdehnung. Die empirische Erhebung soll Aufschluss geben, ob die veränderten Strukturen einen Orientierungsverlust, einen Verlust an Heimat und der katholischen Werte nach sich ziehen. Umgekehrt soll die Frage geklärt werden: „Wächst der Blick für die Vielfalt – wird sie als Chance gesehen?“ Das Gespräch scheint für diesen Erkenntnisgewinn der richtige Weg zu sein. Je 15 Vertreter, in buntem Mix zusammengestellt aus Hauptamtlichen, Gremien und der Gemeinde, sind in Einzelinterviews und drei Gruppengesprächen von Dieter Praas bislang befragt worden. Eine zweite Einzelinterview-Runde steht noch aus.

Von emotionalen Momenten in den Einzelgesprächen berichtet Praas. Die Menschen hätten sehr persönlich auch von negativen Erfahrungen erzählt, wo sie an Kirche gelitten haben. „Ich bin dankbar für die Offenheit, mit der mir die Menschen begegnet sind. Ich bin ja erstmal der Fremde, der ein Aufnahmegerät mitbringt“, sagt er. Viele hätten sich für sein Zuhören und die Zeit, die er sich genommen hätte, bedankt. Anders dargestellt hätten sich die Gruppengespräche. Eine Bereicherung seien die Gemeindemitglieder gewesen, die als „einfache“ Gläubige ohne Ehrenamt etwa als Lektor oder Katechet teilgenommen hätten. Ihr von Strukturen unbefangener Blickwinkel veränderte die Wahrnehmung auch bei den anderen Gesprächsteilnehmern. „Das ist ein Schatz, der von den Menschen innerhalb der Strukturen gar nicht so gesehen wird.“ Lösungsansätze könnten etwa gemeinsam mit diesen „Querdenkern“ gefunden werden in der Frage: „Was müsste eigentlich passieren, damit Sie sich ehrenamtlich engagieren?“ Eine größere Bedeutung hätte im Laufe des Gesprächs über das „Formale“ hinaus auch die Auseinandersetzung mit dem eigenen Glauben bekommen.

„Bei Identität geht es immer um die Werte, das innere Programm: den Dienst an Gott, den Dienst an den Menschen, Offenheit, Toleranz und Spiritualität“, erläutert Dieter Praas. Abschließender Vorsatz der Gruppe: Eine bessere Vernetzung und mehr Austausch sollten erreicht werden. „Wir haben hier etwas Wichtiges in Gang gesetzt“, ist Dieter Praas überzeugt. „Die Reaktionen im Verlauf dieser Untersuchung zeigen“, bestärkt Pott als Projektkoordinator im Generalvikariat, „dass den Menschen der Raum fehlt, um sich, sagen wir mal, ,zweckfrei‘, auszutauschen – abseits der Konkurrenz um Messzeiten oder ähnliches.“ Für ihn steht fest: „Wir sollen wieder erkennen, dass wir eine Erzählgemeinschaft sind.“ Schließlich seien unsere Glaubenszeugnisse, ehe sie aufgeschrieben wurden, erzählt worden. Wie verändert sich eigentlich das Erzählen über die Pfarrei? Das ist die Frage, die Dieter Praas noch beschäftigt. Daher wird er in der Zeit bis Ostern die Menschen ein zweites Mal befragen. Erste Ergebnisse und Erkenntnisse des Projekts „Erzählte Identität!“ wird Dieter Praas auf Einladung von Verantwortlichen des Bistums in verschiedenen Kreisen und Gremien in diesem Jahr vorstellen.

Zitiert

„Wir sollen wieder erkennen, dass wir eine Erzählgemeinschaft sind. Oft fehlt den Menschen der Raum, um sich, sagen wir ,zweckfrei‘, auszutauschen.“ Projektkoordinator Martin Pott – aus der KirchenZeitung, Ausgabe 01/2015 von Dorothée Schenk – veröffentlicht am 30.12.2014

 

(Grafik: Pfarreiengemeinschaft  © Sarah Frank – pfarrbriefservice.de)

3 Kommentare

  1. Michael Müller says:

    Die Aussage, dass „einfache“ Gläubige eine andere Wahrnehmung haben als Ehren- und Hauptamtler, verwundert mich zwar nicht unbedingt, gibt mir aber aus aktuellem Anlass zu denken. Immerhin haben sich unsere Pfarreiräte und Kirchenvorstände in diesem Jahr auch mit dem Thema Fusion beschäftigen müssen und schließlich sogar eine Stellungnahme dazu abgegeben. Haben unsere Ehren- und Hauptamtler ausreichend mit den „einfachen“ Gläubigen gesprochen? Ist die Wahrnehmung bei uns auch so unterschiedlich? Wäre die Stellungnahme bei mehr Gesprächen und deren Berücksichtigung womöglich anders ausgefallen? Leider haben wir hier keinen Doktoranden, aber über solche Themen können wir auch ohne ihn reden.

  2. Matthias Biergans says:

    Die Ausgangssituation lautet ja hier: Die empirische Erhebung soll Aufschluss geben, ob die veränderten Strukturen einen Orientierungsverlust, einen Verlust an Heimat und der katholischen Werte nach sich ziehen.

    Umgekehrt soll die Frage geklärt werden: „Wächst der Blick für die Vielfalt – wird sie als Chance gesehen?“

    Eine erste Erkenntnis lautet: Eine Bereicherung seien die Gemeindemitglieder gewesen, die als „einfache“ Gläubige ohne Ehrenamt etwa als Lektor oder Katechet teilgenommen hätten. Ihr von Strukturen unbefangener Blickwinkel veränderte die Wahrnehmung auch bei den anderen Gesprächsteilnehmern.

    Wir täten gut daran, in unseren Pfarreien vielleicht ebenfalls das Gespräch mit den „einfachen“ Gläubigen zu suchen. Voraussetzung sollte es aber sein, dass alle „mit Ehrenamt“ über die Tragweiten umfänglich informiert werden, zumal KIM dabei die Ausgangssituation verkompliziert.

    Ich erinnere mich daran, dass man nach der Unterzeichnung des GdG-Vertrages zur Bildung der GdG Merzenich/Niederzier im Jahre 2009 lapidar festgestellt hatte, das sich alle Katholiken in diesem Konstrukt einig seien. Ansonsten die fünf plus vier Gemeinden aber doch erheblich so einiges trennen würde. Und: Schließlich sind die kirchliche Gemeinden zusammengeführt worden, die zwar in der Verwaltung zusammengehörten, aber keine Gemeinschaft fühlten.

  3. mic says:

    Also kurz (und vielleicht provokativ) zusammengefasst: Mit den „einfachen“ Gläubigen wird nicht gesprochen und die Ehrenamtler sind nicht ausreichend informiert. Aber es werden existenzielle Entscheidungen getroffen bzw. abgesegnet. Oh, oh …
    Da bin ich ja froh, dass wir zumindest prinzipiell noch die Zeit für Information, Gespräch und aktive Gestaltung haben und nicht schon die Folgen einer von oben durchgesetzten Entscheidung untersuchen lassen. Mal sehen, ob und wie die Zeit in unseren Pfarren genutzt wird.

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