Kirchengemeinden Niederzier

Eine Frage der Perspektive
Bischof Helmut Dieser fordert dazu auf, Kirche im Bistum Aachen neu zu denken und neu zu leben
Schon im Exklusivinterview mit der Aachener KirchenZeitung gleich nach seiner Ernennung zum Bischof hatte Helmut Dieser es gesagt: Die Zeit der Volkskirche, wie viele sie kennen, geht unweigerlich in den nächsten Jahren zu Ende.
Jetzt bekräftigte er seine Analyse beim ersten Medienempfang als Aachener Oberhirte. Und gab öffentlich Zeugnis, wie er mit der ernüchternden Aussicht umgeht und was er für Rückschlüsse für die Zukunft daraus zieht.
Eines macht Helmut Dieser gleich in den ersten Minuten seines Statements deutlich: In eine bestimmte Dynamik möchte er als Bischof nicht hineingeraten und er möchte auch andere, insbesondere sein pastorales Personal, von dem Druck dieser Dynamik entlasten. Nämlich von dem Gefühl, die Kirche retten zu müssen. Er übersetzt im Klartext, was die Leute meinen, wenn sie das von ihm und von anderen erwarten. Sie meinen nicht die Kirche als große globale Glaubensgemeinschaft im Zeichen Jesu Christi. Sondern sie meinen die kleinen Pfarreien – „damit es noch so lange so bleibt, wie man es kennt und als wertvoll empfindet“. Der Bischof sagt ganz klar, dass er seinen Fokus nicht auf das Verlängern des Bisherigen, der sterbenden Form von Kirche in unserer Gesellschaft legen will. Er kritisiert das „Kleinklein“, das damit verbunden sei, und äußert sich besorgt über die Mühle, in die sich alle hineinbegäben, die noch die vergehende Leistungskraft von Pfarreien in der Fläche aufrecht erhalten wollen.
Ihn treibt vielmehr um, wie die Botschaft des Evangeliums neu verkündet werden kann, wie die Menschen neu in Beziehung zur Botschaft und zu Gott kommen. Er sieht: Maßgeblich die ältere Generation hängt an den pfarrlichen Strukturen der Vergangenheit. Weiter beobachtet er: Jüngere Generationen docken immer seltener an, bleiben fern, fühlen sich nicht angesprochen. Es gibt durchaus Orte, wo das doch gelingt, etwa durch die Jugendverbände, denen Dieser seine Wertschätzung ausspricht. Aber in der Fläche des Bistums Aachen – und das ist sein Thema – ist ein dramatisches Fernbleiben der jungen Generationen zu verzeichnen, bei allen Bemühungen etwa von Kommunion- und Firmkatecheten oder auch der Religionslehrer. Diesen Tatsachen ins Auge zu sehen, ist für Helmut Dieser das Gebot der Stunde. Der Bischof weiß, wie schwer und schmerzlich das für viele ist, und er erlebt und erwartet auch noch manchen Widerwillen und Widerstand, darüber überhaupt nachzudenken. Und doch macht er bei zahlreichen Gesprächen die Erfahrung, dass die Menschen ihm irgendwann sagen: Irgendwie haben Sie ja doch recht. Da muss man etwas machen. Und in diese Situation hinein platzt folgerichtig die Frage: Und was tun wir jetzt?
Niemand soll über die Flüchtigkeit mancher Begegnung gekränkt sein
Diese Frage ist legitim, unterstreicht Dieser. Es sind in absehbarer Zeit Weichen zu stellen, etwa in Richtung größerer pastoraler Räume. Was das konkret heißt? Der Bischof kann es noch nicht sagen. Er kennt die Ungeduld, die ihm begegnet, die mit der Suche nach Orientierung verbunden ist. Aber er bittet weiter um Geduld, sein erstes Jahr im Amt ist noch nicht vorbei und er möchte Entscheidungen gut vorbereiten. Über die Fragen, die ihn beschäftigen, will er mit vielen sprechen. Das Bild formt sich also noch – und das, was neu entstehen soll, erst recht. Das kann auch nicht anders sein als so, denn das, worin für ihn die Zukunft der Kirche im Bistum liegt, erfordert einen Perspektivwechsel.
Dieser Perspektivwechsel ist anspruchsvoll und herausfordernd: Helmut Dieser möchte weg von einer Kirche, die überall in der Fläche ähnliche Angebote vorhält. Er möchte hin zu einer Kirche, welche die Menschen gezielt darin unterstützt, aus vollem Herzen Christ zu werden und aus vollem Herzen als Christ zu leben. Kirche soll die Leute als Pilgernde begreifen, die als religiös und spirituell Suchende mal da sind und mal woanders. Niemand soll über die Flüchtigkeit mancher Begegnung gekränkt sein. Dem Bischof kommt es darauf an, dass ein Mensch aus tiefster Überzeugung ja sagt zu Gott. Helmut Dieser möchte eine Zustimmungskirche. Im Blick hat er dabeivor allem die 18- bis 35-Jährigen. Bei aller Bedeutung einer frühen christlichen Prägung als Kind und Jugendlicher falle eine Lebensentscheidung, die wirklich durchträgt, eher in diesem Alter. Was an die Stelle der bisherigen kleinen Pfarreien tritt, ist noch ungewiss. Aber die Herangehensweise sei die, eine große Vielfalt von Orten zu fördern und zu pflegen, an denen mit geistlicher Tiefe Glaube gelebt wird. Diese Orte sollen miteinander vernetzt sein. Und sie sollen entstehen und leben aus einer Haltung des Dialogs, in der das Interesse der Institution zurücktritt gegenüber dem Interesse des Einzelnen. Helmut Dieser leitet dabei der Gedanke von Klaus Hemmerle, seinem verstorbenenen Vorvorgänger: „Lass mich dich lernen, dein Denken und Sprechen, dein Fragen und Dasein, damit ich daran die Botschaft neu lernen kann, die ich dir zu überliefern habe.“ (von Thomas Hohenschue)
(Foto: © Bistum Aachen/Andreas Steindl)
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