Kirchengemeinden Niederzier
Hirtenbrief unseres Bischofs Helmut zur Corona-Pandemie Frühjahr 2020
Liebe Schwestern und Brüder im Bistum Aachen,
die Ausbreitung des Corona-Virus in unserer Gesellschaft durchläuft verschiedene Phasen. Damit meine ich nicht nur die biologische Weise, wie das Virus immer schneller von Mensch zu Mensch übertragen wird und zu Symptomen verschiedener Schwere führt. Ich meine auch die Maßnahmen, die die zuständigen medizinischen und staatlichen Stellen ergreifen. Sie steigern und verschärfen sich von Tag zu Tag, ja von Stunde zu Stunde.
Vor allem aber kommt es mir in meinem Schreiben an Sie auf die inneren Vollzüge an. Auch in unseren Seelen, in Herz und Verstand, durchlaufen wir verschiedene Phasen, wie wir auf die Gefahr reagieren. Zunächst wirkte alles eher weit weg und unwirklich auf viele Menschen. Andere reagierten schon weitaus früher mit Sorgen und Ängsten. Wieder Andere erkannten bald, dass wir alle gewarnt werden müssen. Und am meisten haben die zu leiden und an den Einschränkungen und Ungewissheiten ihrer Situation zu tragen, die unter Quarantäne stehen oder selber infiziert sind, die schon leichte oder gar schwere Krankheitssymptome entwickeln oder dies bei ihren Angehörigen erleben. Ich bitte darum, dass die, die momentan selber eher wenig zu leiden haben, Verständnis und Mitsorge entwickeln für die, die tief verunsichert sind, sich weit reichende Sorgen machen und Angst haben!
Die meisten Menschen müssen durch die drastischen Einschränkungen des öffentlichen Lebens vor allem Anderen zunächst einmal ihren Alltag ganz neu organisieren, weil die Kinder zu Haus sind, weil alte oder kranke Angehörige Hilfe brauchen oder weil ganz unerwartete Probleme auftauchen. Schließlich geraten nicht wenige Menschen auch in tiefe Existenznöte, weil ihre Einnahmen wegbrechen, ohne dass ihre finanziellen Verpflichtungen ausgesetzt wären.
Die Frauen und Männer, die als Ärzte, Pfleger und Forscher in vorderster Front von der Virus-Krise herausgefordert sind und reagieren müssen, und mit ihnen die politisch Verantwortlichen, stehen permanent unter einem wachsenden Druck, immer neu zu erwägen, ob sie das Richtige und Gebotene in angemessener Weise tun, um die Gefahren für uns Alle zu mindern und katastrophale Verhältnisse zu vermeiden.
Bevor ich in meinen Gedanken fortfahre, danke ich an dieser Stelle allen hoch engagierten Menschen in Medizin, Pflege, Forschung und sozialen Diensten, die derzeit durch ihren dauernden Einsatz bis an ihre Belastungsgrenzen gehen, unzähligen Einzelnen helfen und das Gemeinwohl für uns alle in dieser schweren Zeit sichern und erhalten! Mir bleibt nichts Anderes, als ihnen zu sagen: Vergelt’s Gott! Und lasst es uns ihnen vor Allem danken mit unserem begleitenden Gebet!
Was, liebe Schwestern und Brüder, macht das alles mit unseren Seelen, so möchte ich fragen. Für uns in der Kirche ist es ja besonders schmerzhaft, dass wir uns derzeit nicht zum Gebet und zur Feier des Gottesdienstes versammeln dürfen. Eine solche Situation hat es so noch nie gegeben, dass alle öffentlichen gemeinsam gefeierten Gottesdienste im ganzen Bistum, ja in unserem ganzen Land abgesagt werden müssen. Heute wissen wir nämlich, dass und wie eine Pandemie sich durch Übertragung von Mensch zu Mensch ausbreitet, was in vergangenen Zeiten völlig unbekannt war und zu ungeheuren Steigerungen der Zahl von Erkrankten und Toten geführt hatte. In unserem Bistum und in allen anderen Ortskirchen ebenfalls sind deshalb nach jetzigem Kenntnisstand unverzichtbare Regelungen vorübergehend in Kraft getreten, die auch die Versammlung zum Gottesdienst in unseren Kirchen untersagen. Ich bitte Sie alle, diese Vorschriften strikt einzuhalten. Zugleich bitte ich die Priester, besonders an den Sonntagen dennoch die Heilige Messe für die Gläubigen zu feiern. Sie müssen dies zwar ohne die versammelte Gemeinde tun, denn die für unser Bistum derzeit geltenden Regelungen erlauben nur noch Zusammenkünfte von bis zu fünf Personen und nur in räumlichem Abstand zueinander. Und auch diese sollen nur dann stattfinden, wenn sie unverzichtbar sind. Die Kirche kennt und pflegt aber schon immer die Intention tiefer geistlicher Verbundenheit auch über räumliche Entfernungen hinweg. Im Bezug auf die Heilige Messe erinnere ich an den Gebetstext im Ersten Hochgebet:
Gedenke deiner Diener und Dienerinnen N. N. (für die wir heute besonders beten) und aller, die hier versammelt sind. Herr, du kennst ihren Glauben und ihre Hingabe; für sie bringen wir dieses Opfer des Lobes dar, und sie selber weihen es dir für sich und für alle, die ihnen verbunden sind, für ihre Erlösung und für ihre Hoffnung auf das unverlierbare Heil. Auch in den anderen Hochgebeten öffnet sich der Horizont stets auch über die versammelte Gemeinde hinaus und bezieht Lebende und Tote ein. Diese Ausrichtung des kirchlichen Betens will sich immer auch auswirken darauf, dass wir einen herzlichen und freundlichen Umgang miteinander pflegen. Den aber brauchen wir gerade jetzt, in der Krise, die es uns unmöglich macht zusammenzukommen, umso mehr! Deshalb bitte ich Sie alle, nicht mit Rückzug und Kommunikationsabbruch auf die Krise zu reagieren, sondern ich rufe dazu auf, alles Mögliche zu tun, um den Zusammenhalt, das Gemeinschaftsgefühl und die Hilfsbereitschaft untereinander erfahrbar zu machen. Die technischen Möglichkeiten des Internets und der sozialen Medien bieten dafür zum Glück viele Wege. Wir Menschen sind kreativ. Die Krise darf uns auf ganz neue liebenswürdige Ideen füreinander bringen!
Besonders schmerzlich werden wir in unserer Kirche sicher in diesem Jahr den Verzicht auf die gottesdienstlichen Versammlungen an den österlichen Tagen durchleben. Nach meinem Empfinden ist es nicht möglich, die Liturgie der Kar- und Ostertage in voller Form ohne versammelte Gemeinde zu entfalten. Darum habe ich angeregt, dass unsere Verantwortlichen für Liturgie ein Formular für eine reduzierte Liturgie der Kar- und Ostertage entwerfen, die in dieser Krisensituation zur Anwendung kommen darf und den Priestern zur Verfügung gestellt wird. Ich selbst werde nach dieser Vorgabe in unserer Kathedralkirche, im Aachener Dom, die Kar- und Osterliturgie ohne versammelte Gemeinde feiern. Damit sich die Gläubigen dieser Feier in der Mutterkirche des Bistums anschließen können, soll sie live per Internet gestreamt werden. Die Priester unseres Bistums sind frei zu entscheiden, ob sie selbst in dieser reduzierten Form zelebrieren möchten, vielleicht sogar eigene technische Möglichkeiten haben, ihre Feiern für ihre Gemeinden zu streamen, oder von zu Hause aus per Display mit dem Bischof in der Domkirche mitfeiern wollen. Sollte unsere Bewegungsfreiheit beispielsweise durch Quarantänemaßnahmen noch weiter eingeschränkt werden, bietet sich voraussichtlich das Letztere an.
Was macht das alles mit unseren Seelen? Ich möchte eine geistliche Antwort geben mit den Worten des Apostels Paulus an die Gemeinde in Philippi: Freut euch im Herrn zu jeder Zeit! Noch einmal sage ich: Freut euch! Eure Güte werde allen Menschen bekannt. Der Herr ist nahe. Sorgt euch um nichts, sondern bringt in jeder Lage betend und flehend eure Bitten mit Dank vor Gott! Und der Friede Gottes, der alles Verstehen übersteigt, wird eure Herzen und eure Gedanken in Christus Jesus bewahren. (Phil 4, 4-7)
Es kann uns nur tief berühren, dass der Apostel diese Worte findet, während er selbst in Gefangenschaft sitzt und in völliger Ungewissheit, ob er die Gemeinde in Philippi je noch einmal wiedersehen wird oder einem baldigen Todesurteil entgegengeht. Wie kann er da zweimal von der Freude reden, ja sogar dazu auffordern? Paulus empfindet tief, was er der Gemeinde zusagt: Der Herr ist nahe. Damit meint er: Jesus, der Herr, kennt meine Situation. Freiwillig ist er zum Gefangenen geworden. Hoffnungslosigkeit, Zynismus, Hass hat er erlitten. Er kennt die Todesangst. Doch Gott hat ihn durch alles, was unser Menschenleben bedrängt, gefährdet, zerstört, hindurchgeführt zur Auferstehung. Der Herr lebt, und er teilt mit uns seinen Frieden von Gott, den wir nie ausschöpfen oder als erledigt ansehen können. Er geht weiter als jedes Begreifen. In jeder Lage ist daher eine innere Quelle für uns erreichbar, die alles verändert! Wer sie findet, spürt eine Freude, die sich ausbreiten kann und will. Das ist die Güte und Milde, die der Apostel aus dieser Quelle den Philippern zutraut: Lasst alle eure Mitmenschen spüren, dass ihr Hoffnung habt, seid nicht fanatisch und nicht hysterisch, tut das Richtige und Angemessene und am besten umsonst und gern! Stiftet Freude und tröstet eure Mitmenschen. Und tragt alles Drückende, Beißende, Engmachende in eurer Seele zu Gott und überlasst es ihm mit Dank für das Gute, das ihr von ihm schon kennengelernt habt. Denn der Friede Gottes ist größer als alles, und den dürft ihr in euch tragen im Herzen und in allen Gedanken.
Für uns, Schwestern und Brüder, für unsere derzeitige Lage in der Corona-Pandemie können daraus folgen: – die Kraft, die ungewohnte Situation und ihre Belastungen in Ruhe und Zuversicht anzunehmen und damit ein Hilfsmittel gegen die Angst; – Mut und kreative Ideen, wie wir uns trotz räumlicher Trennung nahe bleiben und uns gegenseitig helfen und erfreuen können; – das tiefe Gespür, wie kostbar unser Glaube ist, vielleicht auch in der Gestalt der Sehnsucht, tiefer glauben zu können; – das Gebet als Zuflucht zu erfahren, weil es unsere Situation verändert, uns tröstet, uns tief innerlich froh macht und froh erhält; – je länger je deutlicher zu erkennen, was im Leben wirklich wichtig und was leer und verzichtbar ist; – den Wert der Gemeinschaft in der Familie und im Freundeskreis und die Bedeutung der Solidarität für die ganze Gesellschaft tief zu empfinden und auch selber wieder bewusster ein sozialer Mensch sein zu wollen; – eine neue Gewissheit zu entdecken, wer ich bin, weil Gott in meinem Leben wirkt; – nach innen zu gehen und Gottes Frieden neu zu kosten, weil der Herr nahe ist.
Ich schließe meinen Brief an Sie mit der Einladung zu gemeinsamen Gebeten und Fürbitten füreinander, besonders auch für die an Corona Erkrankten und die Verstorbenen: Die viele Zeit, die wir in unseren Wohnungen verbringen müssen, kann Anlass sein, sie auch mit einer neuen Gebetspraxis zu füllen. Dazu bieten sich besonders der Rosenkranz an oder das Jesus-Gebet im Rhythmus des Atems, aber auch die Litaneien und die Kreuzwegandacht, die wir im Gesang- und Gebetbuch Gotteslob finden (vgl. GL 556-569; GL 683-684), und nicht zuletzt die persönliche meditative Lesung der Heiligen Schrift, die uns ins Beten führt, wozu wir im Gotteslob ebenfalls Anregungen finden (vgl. GL 1, 1-4).
Liebe Schwestern und Brüder, haben wir in dieser außergewöhnlichen Situation viel Geduld und Wohlwollen füreinander, vermeiden wir Streit und Eifersucht und zeigen wir vielen Menschen die Güte und Milde, die wir bei unserem Gott finden! Der Herr ist nahe! So wird der Friede Gottes größer in uns sein, als wir erahnen oder begreifen können. Dazu segne Sie alle der dreifaltige Gott, der Vater + und der Sohn und der Heilige Geist.
Ihr Bischof
+ Helmut
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