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Verleihung des Internationalen Karlspreises an Papst Franziskus
Papst Franziskus wurde im Vatikan der Karlspreis verliehen. Normalerweise wird der Preis zum Himmelfahrtstag in Aachen übergeben. Schon 2004 erhielt Papst Johannes Paul II. einen außerordentlichen Karlspreis im Vatikan. Kardinal Reinhard Marx, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, sagte, die Verleihung sei ein Zeichen für Kirche und Gesellschaft, das europäische Projekt weiter zu entwickeln und neu zu gestalten.
Auch im Rathaus der Stadt Aachen verfolgten ca. 700 Zuschauer die Karlspreisverleihung per Liveübertragung (weitere Bilder hier)
Papst: „Was ist mit dir los, Europa?“
Papst Franziskus hat in seiner Dankesrede für den Internationalen Karlspreis 2016 im Vatikan mit deutlichen Worten die humanistischen Werte Europas angemahnt und einen wirtschaftlichen Wandel hin zu einer sozialen Marktwirtschaft gefordert. „Was ist mit dir los, humanistisches Europa, du Verfechterin der Menschenrechte, der Demokratie und der Freiheit?“, fragte er die anwesenden Größen aus Politik und Gesellschaft mit eindringlichen Worten. Heute seien die Kinder Europas versucht, ihren Egoismen nachzugeben und nur auf den eigenen Nutzen zu schauen, anstatt auf das Gemeinwohl des Kontinents. Reduktionismen und Bestrebungen zur Vereinheitlichung, wie sie zurzeit in vielen europäischen Ländern stattfänden, führten zu Exklusion, Feigheit, Enge und Brutalität. Eine Exklusion nicht nur in Bezug auf Flüchtlinge, vor denen sich manche Länder versuchten zu „verschanzen“ und Zäune zu errichten, sondern auch insbesondere in Bezug auf junge Europäer ohne Arbeit und Zukunftsperspektive.
Franziskus forderte einen „neuen europäischen Humanismus“ mit einer eine Kultur der Erinnerung und des Dialogs, in dem Europa noch fähig sei, eine „Mutter“ zu sein, die sich um ihre „Kinder“ kümmere, um die Armen, Alten und Kranken. Ein Europa, in dem Migranten nicht als Verbrecher abgestempelt würden und junge Menschen eine „reine Luft der Ehrlichkeit“ atmen könnten, die nicht von den „endlosen Bedürfnissen des Konsumismus beschmutzt“ sei.
Er träume von einem Europa, „wo das Heiraten und der Kinderwunsch eine Verantwortung wie eine große Freude sind und kein Problem darstellen, weil es an einer hinreichend stabilen Arbeit fehlt. Ich träume von einem Europa der Familien mit einer echt wirksamen Politik, die mehr in die Gesichter als auf die Zahlen blickt und mehr auf die Geburt von Kindern als auf die Vermehrung der Güter achtet.“
Franziskus erinnerte in seiner Ansprache an die Rede vor dem Europaparlament vom 25. November 2014, in der er Europa als eine Großmutter bezeichnet hatte, ein müdes und gealtertes Europa, das nicht fruchtbar und lebendig sei, sondern dessen Ideale ihre Anziehungskraft verloren hätten und das die Fähigkeit verloren zu haben scheine, etwas hervorzubringen und zu schaffen. „Dennoch bin ich überzeugt, dass die Resignation und die Müdigkeit nicht zur Seele Europas gehören und dass auch die ‚Schwierigkeiten zu machtvollen Förderern der Einheit werden können‘“, zitierte Franziskus sich selbst.
In der gegenwärtigen Krise gelte es, sich an die Gründerväter Europas zu erinnern, die die Kühnheit besaßen, bestehende Modelle radikal zu verändern. In Anlehnung an Robert Schuman mahnte Franziskus, zu einer „Solidarität der Tat“, ohne deren schöpferische Anstrengungen der Friede in der Welt nicht gewahrt werden könne. Gründerväter wie Schuman regten auch das heutige Europa dazu an, Brücken zu bauen und Mauern einzureißen, sich nicht mit „kosmetischen Überarbeitungen oder gewundenen Kompromissen zur Verbesserung mancher Verträge zufrieden zu geben, sondern mutig neue, tief verwurzelte Fundamente zu legen“.
Europa müsse sich von der Vergangenheit inspirieren lassen und auf dieser Basis die Idee Europas aktualisieren. Es brauche dabei drei auf den Humanismus gegründete Fähigkeiten: Die Fähigkeit zur Integration, die Fähigkeit zum Dialog und die Fähigkeit, etwas hervorzubringen. Die Politiker müssten sich der „nicht verschiebbaren Arbeit der Integration“ stellen. Die damit verbundene Solidarität dürfe nicht mit Almosen verwechselt werden, sondern als eine Schaffung von Möglichkeiten für ein Leben in Würde für alle Bürger. „Die Zeit lehrt uns gerade, dass die bloß geographische Eingliederung der Menschen nicht ausreicht, sondern dass die Herausforderung in einer starken kulturellen Integration besteht.“ Franziskus warnte dabei vor einseitigen Paradigmen und „ideologischen Kolonialisierungen“. Vielmehr beruhe die Schönheit und der Reichtum Europas auf seinen Unterschieden der Epochen, Nationen, Stile und Visionen. Seine Identität sei immer dynamisch und multikulturell gewesen. Konrad Adenauer zitierend, betonte Franziskus, dass die Zukunft der abendländischen Menschheit durch nichts mehr gefährdet sei, als durch die ,Gefahr der Vermassung und Uniformierung des Denkens und Fühlens´.
Dem sei eine Kultur des Dialogs, ein „guter Kampf der Begegnung und der Verhandlung“ entgegenzusetzen. Hierfür müssten die Bürger Europas „Koalitionen“ bilden, die nicht mehr nur rein wirtschaftlich oder militärisch, sondern kulturell, erzieherisch, philosophisch und religiös seien. „Koalitionen, die herausstellen, dass es bei vielen Auseinandersetzungen oft um die Macht wirtschaftlicher Gruppen geht.“ Der Einsatz der Kirche sei dabei unerlässlich: „Nur eine Kirche, die reich an Zeugen ist, vermag von neuem das reine Wasser des Evangeliums auf die Wurzeln Europas zu geben.“ Deshalb seien auch die Christen Europas aufgerufen, weiter auf dem Weg zur vollen Gemeinschaft gehen.
Die Menschen in Europa, insbesondere die jungen Generationen, müssten mit einer Kultur des Dialogs gerüstet werden, beginnend bei den schulischen Lehrplänen. Zurzeit seien aber gerade junge Menschen von der Teilhabe an Veränderung und Wandel in Europa ausgeschlossen. „Wie können wir behaupten, ihnen die Bedeutung von Protagonisten zuzugestehen, wenn die Quoten der Arbeitslosigkeit und der Unterbeschäftigung von Millionen von jungen Europäern ansteigen?“, fragte Franziskus. Für einen gesellschaftlichen Wandel sei die Schaffung lukrativer Arbeitsplätze insbesondere für junge Menschen unerlässlich.
Franziskus fordert neue Wirtschaftsmodelle, einen Übergang von einer „verflüssigten Wirtschaft“, die zu Korruption neige zu einer sozialen Marktwirtschaft. „Es ist nötig, von einer Wirtschaft, die auf den Verdienst und den Profit auf der Basis von Spekulationen und Darlehen auf Zinsen zielt, zu einer sozialen Wirtschaft überzugehen, die in die Menschen investiert, indem sie Arbeitsplätze und Qualifikation schafft…Dieser Übergang…vermittelt nicht nur neue Perspektiven und konkrete Gelegenheiten zur Integration und Inklusion, sondern eröffnet und von neuem die Fähigkeit von jenem Humanismus zu träumen, dessen Wiege und Quelle Europa einst war.“ (rv 06.05.2016 cz)
(Foto: Ute Eberl in pfarrbriefservice.de)
↓ Hier erreichen Sie den Youtube-Clip zur Preisverleihung:
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